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08.05.2010, 08:51
SED
Die große Mutter der kleinen Nazis
Am 8. Mai feiert die Linkspartei wieder die „antifaschistische“
DDR. Selbst DDR-Gegner glauben die Mär vom Antifaschismus.
In Wahrheit machten viele Nazi-Verbrecher in der SED Karriere.
Von FOCUS-Korrespondent Armin Fuhrer, Berlin
Erich Mielke war entsetzt. Das Buch, das vor ihm auf dem Schreibtisch
lag, war höchstes Gefahrengut. Mehr als 200 Namen waren darin
aufgelistet – Namen von Politikern, Wissenschaftlern, Ärzten,
Künstlern, Schriftstellern und anderen wichtigen Funktionsträgern
aus dem Arbeiter- und Bauernstaat. Sie alle hatten zwei Eigenschaften
gemeinsam: Sie hatten nicht nur in der DDR Karriere gemacht, sondern
zuvor auch bei den Nationalsozialisten.
Die Fakten stimmten, daran gab es keinen Zweifel. Mielke wusste:
Wenn diese Erkenntnisse an die Öffentlichkeit gelangten, war
es vorbei mit der Selbstanpreisung der DDR als „antifaschistischer
Staat“ und der propagandistischen Anklage, die Bundesrepublik
sei der Zufluchtsort aller Ex-Nazis. Dass Adolf Hitler ein Westdeutscher
sei, war ein zynisches Bonmot. Als sozialistischer Staat dagegen
hatte man alle Nazis ausgemerzt, alles braune Gedankengut vernichtet,
lautete die Propaganda im Reich von Walter Ulbricht und Erich Honecker.
Braunbuch hinter Schloss und Riegel
Eine platte Lebenslüge, wie das „Braunbuch DDR“
schon 1981 zeigte. Doch die Mär vom Antifaschismus wurde das
erfolgreichste Erfolgsprodukt der SED-Propaganda. Damals glaubten
selbst Gegner der roten Diktatur daran. Mielke erkannte die Gefahr
und reagierte sofort. Er setzte eine interne Untersuchungskommission
ein, die ihn über alle Ergebnisse persönlich informieren
musste. Er versenkte das Braunbuch in seinem Panzerschrank, wo es
noch immer lag, als die Mauer im Herbst 1989 fiel und kurz darauf
der Schrank geknackt wurde. Und er setzte seine Schergen auf den
Autor Olaf Kappelt an.
Kappelt war als Kind mit seinen Eltern aus der DDR geflohen und
lebte im nordrhein-westfälischen Bad Oeynhausen. Die Selbstglorifizierung
der DDR als „antifaschistischer Staat“ hatte ihn schon
als Schüler animiert nachzuforschen. Nach jahrelanger Wühlarbeit
in verschiedenen Archiven hatte er schließlich 1981 genug
Namen für sein Buch zusammengetragen. „Damals merkte
ich von Mielkes Maßnahmen nicht viel“, sagt er heute.
Einmal hing ein Totenkranz an seiner Haustür. Wer ihn aufgehängt
hatte, ahnte er nicht.
Aus 200 wurden 1000 Namen
Umso erstaunter war Kappelt, als er nach der Wende in der Stasi-Unterlagenbehörde
40 Aktenordner über sich fand. Und das war vermutlich längst
nicht alles. Denn in den Wendemonaten war es der Stasi gelungen,
vieles beiseite zu schaffen und zu vernichten. Auf ihn wurden Inoffizielle
Mitarbeiter angesetzt, die in seinem Umfeld lebten, vom Hausmeister
bis zu Bekannten. Freunden schrieb die Stasi Briefe und tischte
ihnen Lügen auf, um das Verhältnis zu zerstören.
Kappelts Kinder wurden auf dem Weg zum Kindergarten überwacht,
und selbst einen Plan seiner Wohnung fand er in den Akten.
Inzwischen hat Kappelt weiter geforscht. Nach der Wiedervereinigung
lagen die Dokumente für jeden offen zugänglich, und so
wurden aus den 200 Namen inzwischen rund 1000. Die Liste zeigt:
Die SED kannte keine moralischen Bedenken, wenn es um die Integrierung
ehemaliger Nazis ging – besonders, wenn sie sich am Aufbau
des neuen, „antifaschistischen“ Deutschlands beteiligten.
Als erste Partei in ganz Deutschland nahm sie ab Juni 1946 bereits
ehemalige NSDAP-Mitglieder in ihre Reihen auf. Anfang der 50er-Jahre
waren Zehntausende Mitglied der SED geworden, die Partei galt als
die große Mutter der kleinen Nazis. Zudem wurde mit der NDPD
auch noch eine eigene Partei für Ex-Nazis gegründet.
Ex-Nazis an führenden Stellen
Doch es blieb nicht bei den kleinen Mitläufern. Bis 1989 waren
acht Minister und zwei stellvertretende Ministerpräsidenten
einst überzeugte Nationalsozialisten gewesen. Dazu gehörte
beispielsweise Kurt Nier, von 1973 bis 1989 Vize-Außenminister,
und Herbert Weisz, von 1967 bis 1989 Vize des Ministerrats. Noch
beim Fall der Mauer saßen 14 ehemalige Mitglieder der Nazi-Partei
im SED-Zentralkomitee. Während die DDR-Propaganda westdeutsche
Politiker wie Hans Globke und Theodor Oberländer wegen ihrer
nationalsozialistischen Vergangenheit an den Pranger stellten, machten
Ex-Nazis dort reihenweise Karriere.
Kampforden für Ex-Nazi
Auch in der mittleren Funktionärsebene arbeiteten zahlreiche
ehemalige Hitler-Anhänger in der DDR für den Aufbau des
Sozialismus. Das ergab eine regionale Studie einer Soziologengruppe
von der Friedrich-Schiller Universität Jena um Heinrich Best,
die vor kurzem veröffentlicht wurde. Danach waren 13,6 Prozent
der thüringischen SED-Spitzenfunktionäre, bei denen das
vom Alter her möglich war, NSDAP-Mitglieder – mehr als
im Durchschnitt der Bevölkerung.
Ex-Nazis bauten nach 1949 an führenden Stellen die DDR mit
auf. So zum Beispiel Arno von Lenski. Dass er von 1939 bis 1942
am berüchtigten Volksgerichtshof tätig war, hinderte ihn
nicht daran, seit Mitte der 50er-Jahre die Panzertruppen der Nationalen
Volksarmee aufzubauen. 1968 erhielt er dafür den Kampforden
für Verdienste um Volk und Vaterland in Gold. Doppelte Karriere
machte auch Vincenz Müller, der erst Hitler und dann DDR-Chef
Ulbricht als Generalmajor diente. Lenski und Müller waren in
der NVA kein Einzelfall. „Viele Wehrmachts-Offiziere, die
einst Adolf Hitler den Eid geleistet hatten, bauten die Kasernierte
Volkspolizei und die NVA auf“, so Kappelt.
Euthanasie-Ärzte
Nicht besser sah es im Bereich der Justiz aus. Im zivilen Bereich
ist Ernst Großmann ein krasses, aber keineswegs untypisches
Beispiel. Er war Angehöriger der 5. SS-Totenkopf-Standarte
im Konzentrationslager Sachsenhausen, das in der DDR zu einer Gedenkstätte
ausgebaut wurde. Großmann hatte sich direkt an der Verfolgung
politischer Gegner beteiligt.
Offensichtlich hatte er im KZ organisieren gelernt, jedenfalls
wurde er zum Begründer der ersten Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft
(LPG) in der DDR und saß fünf Jahre im Zentralkomitee
der SED. Der ehemalige Nazi-Scherge wurde im Arbeiter- und Bauernstaat
als „Held der Arbeit“ ausgezeichnet. Im Bereich der
Medizin machten in der DDR Ärzte Karriere, die im „Dritten
Reich“ als Euthanasie-Ärzte Behinderte getötet hatten.
Zahlreiche NS-belastete Wissenschaftler und Forscher aller Fachbereiche
fanden Arbeit an den DDR-Universitäten. Ob im Schriftsteller-
oder Journalistenverband – überall saßen alte Nazis.
Ex-Nazi im Ältestenrat der Linkspartei
„Es ist dringend notwendig, dass sich diese Erkenntnisse
in der breiten Öffentlichkeit festsetzen“, findet Kappelt.
Noch heute glauben selbst viele Menschen, die der SED-Diktatur sehr
kritisch gegenüberstehen, an diese Antifaschismus-Lüge.
Am Samstag wird die Linkspartei sie aus Anlass des 65. Jahrestages
des Kriegsendes wieder hochleben lassen.
Für die Linkspartei, die aus der SED hervorgegangen ist, ist
das Thema noch immer ein Tabu. Das Eingeständnis, dass SED
und DDR an wichtigen Positionen durchsetzt waren mit Alt-Nazis,
würde ihr Selbstbild zerstören. Dabei ist das Thema nicht
einmal abgeschlossen. Im Ältestenrat der Linkspartei sitzt
mit Hermann Klenner noch heute ein Mann, der als 18-Jähriger
in die NSDAP eingetreten war. Wenn es eine Jugendsünde war,
hatte er nicht daraus gelernt. 1986 musste Klenner vom Posten des
Leiters der DDR-Delegation bei der UN-Menschenrechtskommission zurücktreten,
weil er mit antiisraelischen Äußerungen aufgefallen war.
Seinem Ansehen bei SED, PDS und Linkspartei hat das nicht geschadet.
http://www.tagesspiegel.de/kultur/literatur/braune-spuren-im-antifaschistischen-staat/1536516.html
Der Tagesspiegel - 15.06.2009 Von Lothar Heinke
Braune Spuren im "antifaschistischen" Staat
Er freut sich, wenn man ihn als Stadtführer bucht, dann läuft
er in der Maske und Uniform Friedrichs des Großen durch Berlin
und erklärt seinen Gästen auf fritzische Art die Welt
von vorgestern. Das wichtigste Anliegen Olaf Kappelts („Mein
Lebenswerk“) ist indes ein Stück Welt von gestern.
Der promovierte Soziologe hat jetzt sein fast 600 Seiten starkes
„Braunbuch DDR“ veröffentlicht,
eine alphabetisch geordnete Auflistung von über tausend Personen,
die in der DDR eine Rolle gespielt haben, aber bis 1945 in verschiedener
Weise dem NS-Regime verbunden waren, und sei es auch nur durch eine
Mitgliedschaft in der NSDAP oder ihren Gliederungen.
Kappelt hatte als Kind mit seinen Eltern die DDR verlassen. Er
fühlte sich von der Selbstgefälligkeit, mit der der andere
deutsche Staat der Bundesrepublik den braunen Peter zuschob, provoziert
und wollte dem offiziellen Selbstbildnis der DDR als antifaschistischer
Staat seine Erkenntnisse entgegensetzen.
In diversen Archiven der Nazipartei wurde er fündig: 1981
erschien sein erstes Braunbuch mit 600 Namen, darunter zahlreichen
Abgeordneten der Volkskammer. Jetzt nun beschreibt Kappelt, wie
Erich Mielke diese Auflistung dessen, was nicht sein kann, weil
es nicht sein darf, zum Anlass nahm, den Autor mit einer Sondereinheit
zu observieren.
Und er sagt, dass Honeckers letztem Zentralkomitee mehr einstige
NSDAP-Mitglieder angehörten als frühere Mitglieder der
SPD. Der Beweis ist eine lange Liste von Namen, Funktionen, Orden
und Ehrenzeichen. Unbewertet bleiben die Tätigkeiten davor
und danach, Kappelt verteilt keine Zensuren, nennt aber Roß
und Reiter. So war Fritz Müller, von 1960 bis 1990 Kaderleiter
im ZK der SED, seit 1. September 1939 Mitglied Nr. 7142801 der NSDAP.
Auch Kurt Blecha, der Leiter des Presseamtes der DDR-Regierung,
und ND-Kollegiumsmitglied Günter Kertzscher waren Mitglieder
der Nazipartei, ebenso Kanzleramtsspion Günter Guillaume. Sie
alle galten als geläutert, quasi „entnazifiziert“
und brauchbar. Günter Schabowski hat ein kluges Vorwort geschrieben,
er erklärt die braunen Spuren im Roten: „Ein Nazi, dem
es gewährt war, zum Sozialisten, genauer zum Kommunisten zu
mutieren, war total und für immer entnazifiziert. Er war wie
neugeboren. Wen aber die westdeutsche Demokratie umerzog, der blieb
ein Nazi.“
Olaf Kappelt: Braunbuch DDR. Berlin historica-Verlag, Berlin 2009.
587 S., 49,80 €.
2., überarb. Aufl. (10. Mai 2009) ISBN-10: 3939929123 ·
ISBN-13: 978-3939929123
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